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Fiktives Interview mit Oskar Hillmann

Lehrer an der 1. Volksschule in Leipzig

Ihr Buch „Die versinkende Volksschule“ aus dem Jahr 1926 hat vermutlich auch vielen Ihrer Kollegen aus der Seele gesprochen?

Es sollte ein Beitrag zur Errettung der deutschen Jugend von Pädagogen-Wahn und Partei-Irrtum sein. Aber ich habe es anonym herausgegeben.

In zwölf Kapiteln haben Sie die verschiedenen Fehlentscheidungen der sozialdemokratischen Reformbewegung erläutert und mit Beispielen aus der Praxis begründet. Welchen Unterschied sehen Sie beispielsweise zwischen Staatsschule und Parteischule?

Die Schule hat parteilos, neutral zu sein! Ja, aber wer leitet sie dann? Ein Kollege entwarf mir kürzlich folgendes Stimmungsbild:

Mehrere meiner Viertenklässer kamen mir blutend, zerkratzt mit hochrotem Kopf entgegen und klagten sich gegenseitig an. „Die Hakenkreuzler haben angefangen und uns rote Schufte genannt!“, so erzählten sie, und als ich darauf meinen Ersten…fragte, warum er nicht aufgepasst habe, sagte er mir: „Erstens bin ich Kommunist und zweitens passe ich überhaupt nicht mehr auf; denn ich bin kein Verräter meiner Klassenbrüder!“ Und so erfuhr ich, dass sich auch in meiner Klasse eine kommunistische Schulzelle aus 3 Mann gebildet hatte. Während der erste genau jede „Unregelmäßigkeit“ des Lehrers buchte, berichtete der zweite im Jungspartakus über die Unterrichtsthemen und der dritte hatte den Zeitungsvertrieb über. Da der Schuldirektor …gestürzt ist, ist es ganz zweckdienlich, dass nunmehr die Schulaufsicht von den Kindern selbst durchgeführt wird!!

Sie hatten mit dem Prokollanten für den Jungspartakus einige Probleme, als Sie am Nachmittag Schulstunden nachholen wollten.

Alle (anderen) Kinder kamen. Als ich ihn fragte, warum er nicht zur Stunde gekommen sei, erwiderte er mir: „Mein Vater verbot mir, den Unterricht zu besuchen, weil Sie kein Recht haben, außerhalb des Stundenplanes Schule anzusetzen.“ Ich erstattete Anzeige bei der Schulleitung. Diese entband – um Skandal zu vermeiden- den Jungen von diesen Stunden, während die Willigen nachholten. Die Frechheit der Antworten blieb unbeachtet. Man wird eben allerhand „gewöhnt“.

Und was hat der Berichterstatter im Jungspartakusbund darüber berichtet?

„Der Lehrer N. zeigt sich immer mehr als Reaktionär verwerflichster Sorte! Er scheut sich nicht, offen gegen uns Front zu machen und unsere Genossen zu bedrohen. Erst gestern hat er wieder einen Genossen geschlagen usw.“ Die Feder sträubt sich, diese Lügen weiter zu berichten. Der Berichterstatter, ein Ausbund von Faulheit und Verlogenheit! Er weigerte sich sechs Wochen lang, ein Gedicht von Ludwig Uhland zu lernen.

Und was hat Ihr Kollege dann getan?

Da schon alle Strafmittel erfolglos an diesem Knaben angewendet worden waren, ließ er ihn setzen ohne ihn weiter zu bestrafen. Denn die heutige Schule ist ohnmächtig gegen solche Fälle. Stillschweigend muß sich die Schule gefallen lassen, ob ein Kind Lust hat, das Deutschlandlied oder ein Volkslied mitzusingen oder nicht.

Der Staat hat keine Mittel, viel weniger die Macht, die ihm unterstellten Lehrer zu schützen! Denn ruhig duldet er kommunistischen Aufruhr, ruhig lässt er die gemeinsten Streitschriften gegen die Lehrer in und an der Schule verbreiten.

Wie denken Sie über die Abschaffung der Prügelstrafe?

Wer klagt nicht heute über die „unerzogene“ Jugend! Der Lehrerverein führt dafür den verrohenden Krieg als Ursache an. Aber täglich mehren sich, besonders in der Schule die Frechheiten und Anmaßungen der Schüler. Ein Schüler weigerte sich wochenlang zwei Verse zu lernen. Also bestellte ich den Schüler zu einer Strafstunde am Nachmittag. Er kam auch zur zweiten und dritten angesetzten Strafstunde nicht. Die Eltern haben dies verboten. Der Vater des Jungen zog mir meine Büchertasche weg und warf sie auf den Fußsteig, ich hatte nur noch den Henkel in der Hand. Ein modernes Bild aus dem heutigen Schulleben.

Also wollen Sie die Prügelstrafe wieder einführen?

Wir wollen keinesfalls der alten Prügelschule das Wort reden, aber, dass dem Lehrer das Schlagen ganz verboten ist, darin liegt das Hauptübel für die Erfolglosigkeit unserer heutigen Volksschulerziehung. Jeder Lehrer sträubt sich, eine obere Knabenklasse zu übernehmen und sucht durch Flucht auf die Mädchenseite dem Schrecken zu entrinnen. Eine Prügelerlaubnis sollte allerdings nur denjenigen Lehrern übertragen werden, die in Wahrheit „Erzieher“ sind.

Wie haben sich die Erwartungen von der Einheitsschule erfüllt?

Die Einheitsschule scheitert an der Wirklichkeit. Der Klassenerste Kommunist, der Zweite Linkssozialist, der Dritte und Vierte ein fleißiger, braver Junge, der Fünfte ein ausgefeimter Dieb, der Sechste und Siebente intelligent, aber erzfaul, der Achte Hakenkreuzler, der sich im ständigen Kampfe mit den Kommunisten befindet, bis zum Vorletzten, der sämtliche Schulbücher stahl und der Letzte, der immerzu schwänzt. Sein Brief an den Lehrer „Herr… ist ein großes Rindvieh und ein altes Dreckschwein, denn er recht sich immer über alles uff.“

Und wie reagieren die Eltern?

Heute bleiben alle Kinder von solchen Eltern, die nur einigermaßen das teure Schulgeld erschwingen können, der Volksschule fern. Die sehr glückliche frühere Teilung unserer Volksschule in höhere Bürgerschulen, Bürgerschulen und Bezirksschulen wurde dem Umgange gerecht, eine wahrhafte geistige Einheit. Lediglich die Sorgfalt und Bedeutung, die das Elternhaus der Erziehung beimaß oder nicht, war für die Wahl der Schulart ausschlaggebend. Unsere berühmte Einheitsschule hat diese geistige Einheit vollkommen vernichtet, indem sie Sprach-, Normal- und Sonderklassen errichtete. Parteiirrsinn und Pädagogenwahn zertrümmerten uns ein vollwertiges Schulsystem und das Bürgertum ließ sich alles gefallen.

Der Kampf um die weltliche Schule tobt ja schon sehr lange in den Lehrerverbänden. Geben Sie der weltlichen Schule eine Zukunft?

Es klingt so schön, wenn gesagt wird: „Das gesamte Volk besucht die eine große weltliche Schule und damit schaltet sofort aller konfessioneller Hader aus. Religion ist Privatsache, und die Staatsschule hat damit nichts zu tun!“ Hat denn die Lehrerschaft ganz und gar vergessen, was Pestalozzi einst sagte: „Die Anschauung ist das absolute Fundament aller Erkenntnis und der Glaube an Gott ist die Quelle aller Weisheit und alles Segens und die Bahn der Natur zur reinen Bildung der Menschheit.“ Wie will sie ohne Weltanschauung, in der die Religion die Grundlage ist, sittlich erziehen? Mag die Religion heißen wie sie will, ohne Religion aber ist eine Erziehung nicht möglich. Die weltliche Schule ist darum für uns ein Nonsens.

Wer hat denn die weltliche Schule gefordert?

Die Lehrerschaft hat die Sozialdemokratie als Schrittmacher vor ihre weltliche Schule gespannt…und so wurde die eigentliche große und allgemeine Schule der Allgemeinheit  zur Schule der Sozialdemokratie, die von rechts und links mit Recht aufs heftigste angegriffen wird und somit heute nicht leben und  nicht sterben kann, unserer Jugend aber den allerschwersten Schaden zufügt.

Wie viel Prozent der Kinder sind denn in Leipzig für den Religionsunterricht angemeldet?

Weit über 90 Prozent der Kinder sind für den Religionsunterricht angemeldet, aber trotzdem darf außerhalb dieses Unterrichtsfaches nichts von Gott erwähnt werden. Früher verwahrte sich die Organisation der Lehrerschaft gegen den Gewissenzwang, der ihr mit Erteilung des Religionsunterrichts auferlegt wurde und heute- heute fühlt sie nicht, wie erbärmlich unehrlich sie sich den Kindern gegenüber verhalten muß. Der weitaus größte Teil aller Lehrer steht auf freireligiösem Standpunkt, aber trotzdem muß er es dulden, dass sämtliche Schulfeiern auf „weltlicher Grundlage“ durchgeführt werden. Die meisten Lehrerkollegien sind heute in zwei Teile gespalten, in den christlichen und in den weltlichen. Ermahnt der eine zum Kirchenbesuch, stellt der andere die Kirche als „überholten Standpunkt“ dar.

 


Gemeint ist der Leipziger Lehrerverein

Wie reagieren die Kinder auf diese Gegensätze?

Niemand ist feinfühliger als die Kinderseele. Das Kind kann natürlich niemals sich die unüberbrückbaren Gegensätze erklären und bucht sie darum auf das Konto „Lehrerautorität“. Mit dem Schwund der Achtung verliert der Lehrer die Macht, erziehend beeinflussen zu können, und hieraus erklärt es sich, dass bei der teilweise doch recht anerkennenswerten Lehrerarbeit die erzieherischen Erfolge auf ein erschreckendes Minimum herabgesunken sind.

Und die Eltern sind doch auch gespalten. Wie reagieren denn die Väter und Mütter auf diese Gegensätze?

Dazu ein Beispiel: Ich verließ mein Klassenzimmer und fand einen Kollegen in einem heftigen Gespräche mit einem Manne verwickelt: „Das werde ich Ihnen schon anstreichen, meinem Jungen in Betragen die II zu geben. Sie denken wohl, mit uns ‚Weltlichen’ können Sie es machen? Ich verlange, dass Sie die Zensur ändern.“ Dabei packte er den Kollegen am Arme, indem er sagte: „Los, mit zum Direktor!“

Schnell mischte sich ein Kollege mit in den Streit, um dem Kollegen beizustehen und verbat sich, in diesem Tone mit einem Lehrer zu verhandeln. Doch der Mann nahm keinerlei Notiz von diesen Worten und entgegnete: “Wer mir meinen Willen nicht erfüllt, den stech’ ich über den Haufen“.

Solche und ähnliche Fälle beweisen, dass das Elternhaus kein Vertrauen zur Schule, die Schule aber in vielen Fällen kein Vertrauen zum Elternhaus mehr haben kann.

Aber wenn das beiderseitige Vertrauen fehlt, gibt es denn eine Lösung für das Problem?

Es gibt kein besseres Mittel, als mit aller Macht die Trennung in eine christliche und in eine weltliche Schule zu fordern, über die beide der Staat zu wachen hat. Damit ist allen Genüge getan außer dem Lehrervereine, der mit aller Macht dem deutschen Volke auch heute noch seine Einheitsschule aufdrängen will.

Würde denn die Mehrheit der Lehrer dem auch zustimmen?

Der größte Teil der Lehrer würde der Trennung freudig sogar zustimmen, wenn man eine staatliche christliche Schule ohne Aufsicht der Geistlichkeit schafft. Auf diesen Standpunkt haben sich fast sämtliche christlichen Elternvereine gestellt. Und selbst durch und durch weltlich gesinnte Lehrer äußern sich so: „Wenn die Trennung ja kommt, dann gebe auch ich wieder Religionsunterricht.“

Das würde doch die alte Trennung in Bezirks- und Bürgerschulen wieder bringen?

Unsere alte, jahrhundertelang bewährte Volksschule wollen wir wiederhaben, wollen wir weiter ausbauen zum wahren Segen unseres Volkes.

Bei der Entscheidung zwischen Religions- und Moralunterricht sind die Eltern gefragt. Geht das immer reibungslos?

Es kommt gar nicht selten vor, dass der Vater den Moralunterricht und die Mutter den Religionsunterricht wünscht. In der Regel wird dann zugunsten des Vaters entschieden.

Wie geht Moralunterricht ohne Gott?

Johann Gottfried Herder sagte: „Jede Moral ohne Gott ist eine Parasitenpflanze.“

Unserer Jugend fehlt der reale Hintergrund unserer Sittenlehre, der Gottesbegriff, in dem als Weg zum Erfolg die notwendige Ehrfurcht verankert liegt. Unseren Kindern fehlt die Ehrfurcht vollständig, besonders auch gegen die eigene Person. Wie wenig auch gerade Ehrfurcht vor dem Lehrer vorhanden ist, beweist die Tatsache, dass neben oft wiederkehrender Gehorsamsverweigerung der ganzen Klasse auch Disziplinlosigkeiten einzelner Schüler infolge unserer unglückseligen Schulverhältnisse eine allgemeine geworden ist.

Wie funktioniert die Trennung der Schüler in Moral- und Religionsklassen?

Fast in jeder Klasse finden sich durchschnittlich 90 Prozent christliche und 10 Prozent weltliche Kinder. Die Klassen müssen darum zerrissen und aus den verschiedenen Klassen zusammengeführt werden. In den Religionsklassen sitzen dann mehr als 40 Kinder, in den weltlichen nur 15 Schüler.

Was halten Sie von der Idee der Arbeitsschule?

In der alten Lernschule mußte man viel auswendig lernen, Flüsse und Nebenflüsse, Kaiser und Könige, das kleine und große Einmaleins, grammatische Regeln. In jedem Fach wurde gelernt!  Jede Unterrichtsstunde war ein kleines Meisterwerk, erstens jeden Gegenstand aufs genaueste zu betrachten, zum zweiten die Zusammenhänge geistig zu erfassen und drittens das neu erworbene geistige Gut anzuwenden. Begriffsentwicklungen und logisches Denken war demnach die Seele der Lernschule. Die heutige Arbeitsschule verlangt: Hinaus mit allem Zwange, hinaus mit aller Autorität und Arbeitslast, hinaus mit dem elenden Auswendiglernen!

Der Lehrer ist nicht mehr der hölzerne Vorgesetzte der Kinder, er ist weiter nichts als ihr Freund. Es wird gespielt und beim Spiel spielend gelernt. Was nun gerade sich bietet. Jede folgerichtige Begriffsentwicklung innerhalb eines geistig sich fortentwickelnden Systems ist unmöglich. Die Folge ist darum eine sich verbesserte und regsamere Redewendigkeit, wie auch eine größere Handgeschicklichkeit des Kindes. Wollen wir unsere Kinder für das Leben vorbereiten, da müssen wir vor allem bedenken, dass das Leben nicht weich, nicht Theater nicht Gleichheit, nicht Sonne, sondern dass es hart, Kampf, dass es Arbeit ist. Meiner Ansicht nach ist darum die Schule die beste, die ihren Zöglingen am besten ernstlich arbeiten gelehrt und gelernt hat. Wie erschreckend groß ist heute die Zahl der Selbstmorde und Morde gerade auch im jugendlichen Alter. Die Fachzeitschriften der Buchbinder, Tischler, Mechaniker beklagen sich, dass durch falsche Anlernung in der Schule die Fortschritte der Lehrlinge äußerst gering wären.

Wie werden denn nach der Abschaffung der Osterprüfungen die Lernergebnisse in der Öffentlichkeit festgestellt?

Auch die guten Hefte gibt es nicht mehr. Der modernen Schule kommt es wahrscheinlich auf Leistung recht wenig an. Oder ist sie in ihrem „Dummstolz“ so von sich eingenommen, dass sie glaubt unfehlbar zu sein? Früher wurden die Leistungen in der Schule immer auch daran gemessen, dass es hieß: „Wenn nur mein Kind lesen, rechnen und schreiben lernt, dann ist’s schon gut.“ Unser heutiges Schulsystem, ohne System, unterbindet jeden Fortschritt und ermöglicht immer nur bedingte Erfolge.

Wie denken Sie über den Gesamtunterricht anstelle des Fachunterrichts?

Die Stundenzahlen, die jahrhundertelange Erfahrung dem einzelnen Unterrichtsfach zuwies, werden verachtet, der alte Stundenplan ist damit außer Kurs gesetzt und man macht, was man will, wozu man Lust hat! Mit dem Fachsystem ist aber nicht das Fachlehrersystem für unsere Volksschule gewünscht. Hier möchten fast alle Fächer ausgenommen des Zeichnens, Turnens und der Handfertigkeit in der Hand eines Lehrers liegen. Unsere alte Schule ging genau den richtigen Mittelweg: Fachsystem ohne Fachlehrersystem.

Was hat sich verändert durch die Einschränkung der Schulaufsicht?

Schuldirektor und Schulinspektor sind gefallen. Weit über 1000 Lehrer hat heute ein Bezirksschulrat unter sich. So ist es wohl möglich, dass ein Lehrer während seiner jahrzehntelangen Dienstzeit seinen Vorgesetzten überhaupt nicht kennenlernt. Strebsam als Lehrer zu sein, nützt nichts, faul sein schadet aber ebenso wenig. So wird das Gros der Lehrerschaft durch dieses unerträgliche Gleichmachersystem zu einer Gleichgültigkeit erzogen, die ins Riesenhafte wachsen muß. Wege zum Erfolg gibt es nur den einen, blindlings mit der Masse, der Organisation schwimmen, mit ihr durch Dich und Dünn, das rechte Parteibuch in der rechten Tasche! Diese Verhältnisse drücken unser Schulwesen um viele Jahre zurück. Ein von der Lehrerorganisation vorgeschlagener Schulrat kann ja auch niemals dem Schulwesen ein objektiver Leiter sein, da er durch seine Wahl moralisch verpflichtet ist.

Haben wir christliche Schulen, dann haben wir christliche Schulräte, dann fällt von selbst die früher und nicht ganz zu Unrecht gehasste geistliche Schulaufsicht von selbst in ein Nichts zusammen. Diesem neuen Schulrat wird es auch gelingen, aufgrund seiner Leistungen sich die volle Achtung seiner Lehrerschaft zu erwerben.

Und das Vertrauen, das jeder Schulinspektor sowohl in der Eltern- wie auch der Lehrerschaft besitzen muß, ist allein der Boden, auf dem sich unser ehemals blühendes und vorbildliches Schulwesen wieder entwickeln kann.

Trauern Sie auch dem alten System der Direktorenkonferenz nach?

Der alte Schuldirektor hatte sich oftmals recht wenig bewährt. Hier muß man der Lehrerschaft Recht geben. Taktische Unklugheiten, wenn sie stärkste Kritiken unbekümmert vor Kinderaugen vornahmen, wenn sie sich zum Schultyrannen aufspielten und die Gesundheit der der Lehrer systematisch untergruben, so kann man diesen Stand nicht frei von Schuld sprechen.

Ich selbst hatte es nur mit Schuldirektoren zu tun, die mir als Lehrer wie als Mensch größte Achtung und vollkommenste Anerkennung abrangen. Früher hospitierte der Schuldirektor in einzelnen Unterrichtsstunden, kontrollierte die guten Hefte und erledigte nebenbei die schulischen Verwaltungsaufgaben, was heute die einzige Arbeit des Schulleiters ist. Er hat sich jeder Kontrolle zu enthalten, schließlich ist er ja von der Lehrerschaft gewählt worden und muß immer fürchten, seinen Posten wieder zu verlieren. Ein Geschäft mit einem Geschäftsführer, der nichts zu sagen hat. Es ist darum kein Wunder, dass auch unsere Volksschule geistig vor der Pleite steht. Bei materiellen Verhältnissen merkt man sie sofort, bei geistigen erst, wenn es zu spät ist.

Wie kann dies geändert werden?

Die Volksschule braucht einen Steuermann, der sich in der Praxis bewährt hat und der sich aufgrund seiner Leistung Achtung bei der Lehrerschaft erwerben kann.

Also doch wieder die alten Direktoren zurückrufen?

Keinesfalls kann das alte Schuldirektorat wieder erstehen. Unsere Volksschule braucht Ruhe, muß vor neuen Kämpfen verschont bleiben, und darum kann sie nur ein solcher Direktor leiten, der auch das Vertrauen der Elternschaft besitzt.

Wie kann denn ein neuer Schulleiter vor Direktoratsanwandlungen bewahrt werden?

Dazu steht ihm ja seit 1919 ein Lehrerrat zur Seite, der ihn kontrolliert. Aber eigentlich müsste dem gesamten Lehrerkollegium in Verbindung mit dem Direktor die oberste Gewalt in der Schule überlassen bleiben. Die Lehrerversammlung muss dem Direktor gleichstehen, dann kann die Lehrerschaft getrost ihren Lehrerrat begraben.

Wenn aber die Lehrerschaft fast überall in mindestens zwei Weltanschauungen gespalten ist, wie soll da entschieden werden?

Immer und immer wieder siegt nur die größere Partei. Die Minorität lässt sich dies natürlich auf Dauer nicht gefallen, die Meinungsverschiedenheiten arten zu persönlichen und politischen Streitigkeiten aus. Wir brauchen getrennte weltliche oder christliche Schulen.

Finden Sie es gut, dass Elternräte so viel Macht bekommen haben?

Das war vielleicht die einzige glückliche Idee der ganzen Revolutionszeit. Schule und Elternhaus müssen gemeinsam, in gleicher Weise, auf gleichen Wegen arbeiten, wenn sie zu andauernden erzieherischen Erfolgen kommen wollen. So schön diese Idee war und ist, zu welcher Groteske ist sie in der Gegenwart verkommen! Der Elternrat musste gewählt werden, und nun ging’s mit Macht ins politische Fahrwasser! Da wurde verdächtigt und gelogen, mit fairen und unfairen Mittel gekämpft, bis endlich der Elternrat gewählt war. Mit dem Elternrat aber waren auch die politischen Parteien da, die entweder die christliche oder die weltliche Schule vertraten.

In letzter Zeit ist eine dritte Partei dazugekommen, die kommunistische, und es wird nicht lange dauern, dann halten noch weitere Parteien Einzug im Elternrate. Wenn heute der Elternrat zusammentritt, dauert es nur wenige Minuten und das politische und parteiliche Gezänk geht los. Da werden Eltern vor ihr Forum zitiert und die Eltern spielen sich vorgesetzte Behörde auf, da beschweren sich Eltern bei den Elternräten über böse Lehrer, dann verlässt eine Partei in den Versammlung den Saal und überlässt der anderen das Feld, dann wollen Lehrer nicht mehr für die Elternversammlung arbeiten, dann findet sich kein Lehrer mehr, der in der Elternversammlung spricht, weil er Gefahr für Körper und Seele bei solchem Tun empfindet. Wenn Eltern und Erzieher gemeinsam an einem Erziehungswerke arbeiten wollen, dann müssen sie eines Geistes sein.

Sollten sich die Elternräte also wieder auflösen?

Wenn Eltern und Erzieher gemeinsam an einem Erziehungswerke arbeiten wollen, dann müssen sie eines Geistes sein. Der Elternrat ist sofort arbeitsfähig und erfolgreich, wenn wir die Trennung in weltliche und christliche Schulen errungen haben.

Wie denken Sie über die Akademisierung der Volksschullehrerausbildung?

Die Lehrerschaft ging vor dem Krieg meist aus kleinen und kleinsten Verhältnissen hervor. Mit 14 Jahren traten diejenigen, die den Lehrerberuf erwählt haben, in ein Seminar ein. Die strenge, früher teilweise sogar klösterliche Zucht konnte niemals die Kinderstube ersetzen, die für Volksbildner unbedingt nötig ist. Darum gelang der Lehrerschaft niemals recht der Anschluß „nach oben“. Der zweite Mangel liegt in der unverkennbaren Halbbildung der Lehrerschaft. Teils sogar vorzüglich für wissenschaftliches Arbeiten vorbereitet, schnitt der Bildungsgang ab. Gesellschaftlich nicht anerkannt, finanziell von dem kleinen Bürger unterdrückt, wurde der Volksschullehrer ins Lager der Sozialdemokratie getrieben, (…) da ihm die Festigkeit in seiner Bildung fehlte.

Wenn wir unsere versinkende Volksschule und damit unser Land retten wollen, , müssen wir unseren Kindern die Besten des Volkes zu Lehrern geben. Dazu müssen wir die akademische Vorbildung verlangen. Unsere Volksschullehrer müssen einem anderen Milieu entstammen und über eine derart geistige und wissenschaftliche Vorbildung verfügen, dass ihr alle Gesellschaftskreise und Wege offen stehen.

Haben Sie ein besseres Zukunftsland vor Augen?

In kürzester Frist haben wir alles verloren, die Inflation hat uns arm gemacht. Nur eines ist uns erhalten geblieben: unsere geistigen Werte, unsere Bildung, wenn schon auch sie vieles, vieles, ebenso dabei verloren hat. Aber täglich können wir beobachten, wie Geist und Bildung neue Wege nach oben bahnen.

Geistige Güter müssen wir unseren Kindern schenken, wenn wir ihnen wahrhaften Reichtum vererben wollen. Wir tun es, indem wir unseren Kindern eine neue Volksschule schenken. An euch, christliche Elternvereine, ergeht mein letzter und dringendster Ruf(…) denn ihr seid ja die Träger des geistigen Deutschlands. Redet, sprecht, werbt für die Schule eurer Kinder…

Vielen Dank, Herr Hillmann für das Gespräch