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Von der alten Lernschule zur
neuen Arbeitsschule für alle?

Die Revolution 1918/19 in Deutschland brachte die althergebrachte Welt nicht nur für die Menschen in Leipzig ins Wanken. Aber hier, in der Stadt Leipzig, wurde nach dem Vorbild der Oktoberrevolution in Russland versucht, eine Räteregierung zu errichten, in der Arbeiterräte die Alleinherrschaft übernahmen. Diesem Kampf gingen das Ende des Ersten Weltkriegs, Hunger und Krankheiten sowie Unruhen, Aufstände und Streiks voraus, die das gewohnte Leben der Leipziger Bevölkerung erschütterten.

Ganz besonders umkämpft war die Idee einer weltlichen Einheitsschule für alle Kinder des Volkes.

 

Diese sollte die langersehnten sozialdemokratischen Ziele des Sächsischen Lehrervereins auf Chancengleichheit einlösen. Als eine der ersten Amtshandlungen wurden deshalb in Leipzig alle evangelischen Volksschulen zu weltlichen Schulen erklärt. Auch der Religionsunterricht wurde in Sachsen von der neuen Regierung kurzerhand abgeschafft. Diese Maßnahmen führten zu einer Spaltung in der Bevölkerung und bei vielen Eltern auch zu Unmut über das neue Schulsystem. 

Kartenansicht
Volkshaus Zeitzer Straße 30
Hauptbahnhof
Augustusplatz
Neues Rathaus, Lutherring 4
Hotel Astoria (Gründung des ARS), Blücherplatz, heute Willi-Brandt-Platz
Vereinshaus des LLV Kramerstraße 6 (Institut für experimentelle Pädagogik und Psychologie, heute Ernst-Schneller-Straße 6 (Beyerhaus)

In diesem Teil der Ausstellung zeigen wir, …

wie die allgemeine
Situation in der
viertgrößten Stadt
Deutschlands am
Ende des I.
Weltkriegs war

Zum Thema

wie Unruhen, Streiks
und Aufstände die Stadt
von 1918 bis 1920
überzogen

Zum Thema

wie der politische
Kampf um die Neuordnung
des Volksschulwesens 
ab 1918 ausgetragen
wurde

Zum Thema

wie die weltliche
Einheitsschule und der
Religionsunterricht als
erbitterte Streitpunkte
die Öffentlichkeit in
Leipzig bewegten

Zum Thema

Die Stadt Leipzig am Ende des I. Weltkriegs

Pulsierendes Leben in der
viertgrößten Stadt im Deutschen Kaiserreich

Leipzig war 1918 mit mehr als einer halben Million Menschen die viertgrößte Stadt im Deutschen Kaiserreich. Kaufleute und Industrielle machten die Stadt mit ihren Produkten und Messen wohlhabend. Unzählige Buchverlage und Kunstschaffende prägten das Geistes- und Kulturleben der Stadt. Die Universität zog seit über 500 Jahren Gelehrte und Studenten an. In der pulsierenden Stadt lebten ein starkes Bürgertum sowie eine starke Industriearbeiterschaft, die in den Fabriken im Leipziger Westen arbeitete.

 

Plurale Medienlandschaft

Schon zur Kaiserzeit erschienen täglich bis zu sieben Tageszeitungen, die mit ihrer unterschiedlichen Couleur zur politischen Diskussion in der Stadt beitrugen. Allein für die Leipziger Neuesten Nachrichten existierten 120.000 Abonnements in der Stadt.

Kein Oberer gibt einen Ton an

„Die über Jahrhunderte trainierte Unabhängigkeit im Denken und vielleicht auch die Vorrangstellung der Druckereien und Verlage seit dem 16. Jahrhundert mögen daran schuld sein, dass sich in Leipzig auch widerständige Ideen zu allen Zeiten besonders gut verbreiten konnten.“

Goethe schrieb 1782 an Charlotte von Stein:

"Die Leipziger sind als eine kleine moralische Republick anzusehn. Jeder steht für sich, hat einige Freunde und geht in seinem Wesen fort, kein Obrer giebt einen allgemeinen Ton an, und ieder produzirt sein kleines Original, er sey nun verständig, gelehrt, albern, oder abgeschmackt, thätig, gutherzig, trocken oder eigensinnig, und was der Qualitäten mehr seyn mögen. Reichthum, Wissenschafft, Talente, Besitztühmer aller Art geben dem Ort eine Fülle die ein Fremder wenn er es versteht sehr wohl geniessen und nutzen kann."

Leipzig als Mekka des Marxismus

Leipzig gilt als die Wiege der Arbeiterbewegungen – hier wurde der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein (1863) gegründet und sozialdemokratische Persönlichkeiten wie Ferdinand Lassalle, August Bebel oder Wilhelm Liebknecht wirkten in dieser Stadt. Rosa Luxemburg sprach 1913 im Plagwitzer "Felsenkeller" und veröffentlichte zählreiche Artikel in der LVZ. In Leipzig wurde ebenso einer der ersten und aktivsten Arbeiterbildungsvereine (1861/1865) in Deutschland gegründet. 

„Wo, wenn nicht hier sollte die sozialistische Revolution ausgerufen werden?“

 

„Die erstaunlich belesenen Arbeiter hingen der marxistischen Lehre mit beinahe religiösem Eifer an, glaubten dass sie damit im Besitze der absoluten Wahrheit und der letzten wissenschaftlichen Erkenntnis seien. Damit hielten sie sich für etwas Besseres als die unaufgeklärten Arbeiter und die Bürger. Ihr Glaube gab ihnen vor sich selber den Status, den ihnen die Gesellschaft des Kaiserreiches verweigerte. In dieser Hinsicht glichen sie vielmehr einer religiösen Sekte, in der die Gläubigen die Lebensform erreicht haben, die sie anstreben …“

Plurale Schullandschaft

Über die Leipziger Bürgerinnen und Bürger schrieb Theodor Fontane 1898 bewundernd:

„Ihre Kulturüberlegenheit wurzelt in ihrer Bildungsüberlegenheit, die nicht von neustem Datum, sondern fast vierhundert Jahre alt ist.“ 

Viele Interessierte kamen aus der ganzen Welt, um in Leipziger Schulen zu hospitieren oder die großen Lehrmittelausstellungen zu besuchen.

„Die Stadt Leipzig hat alle Gattungen der öffentlichen Schulen selbständig und vorbildlich und ohne Mitwirkung und ohne Hilfe des Staates ausgebaut, ein Ruhm, den kaum eine andere deutsche Stadt mit ihr teilt, und sie hat auf ihr Schulwesen immer mit Stolz und oft mit tätigem Wohlwollen gesehen. Denn welche Fülle von geistiger Kraft hat daran gearbeitet!"

Die Stadt besaß die Personal- und Finanzhoheit über ihre Schulen und sparte zumeist nicht bei Schulbauten oder beim Personal. Die Ratsfreischule und zwei private Stiftungsschulen nahmen seit 1792 Kinder ohne Schulgeld auf. Auch an den Gymnasien gab es Freiplätze für begabte Schüler.

Neben einem entfalteten Volksschulwesen zeigte sich eine breite Vielfalt an pädagogischen Ideen und Schulträgern. In der Stadt gab es unter anderem 52 evangelische und vier katholische Volksschulen, drei humanistische Gymnasien, ein Reformgymnasium, drei Realgymnasien, fünf Realschulen, eine Oberrealschule, eine Israelitische Schule, sieben private Mädchenschulen, zwei höhere Mädchenschulen mit integrierter Lehrerinnenausbildung, zwei königliche Landesschulen sowie die erste Frauenhochschule Deutschlands.

Leipziger Schulführer für Eltern und Lehrkräfte, erschienen bei Friedrich Brandstetter, Leipzig 1916 , Privatarchiv
Werbeanzeigen, Privatarchiv
Innentitel, Privatarchiv

In den Jahren 1911 und 1914 fanden im Rahmen der Weltausstellung für Buchgewerbe und Grafik aufwendig ausgestattete Sonderausstellungen „Das Kind und die Schule“ statt, in denen neue pädagogische Ideen präsentiert wurden.  Das erste Schulmuseum wurde 1914 gegründet.

400-seitiger Begleitkatalog zur Sonderausstellung "Das Kind und die Schule", vermutlich 1914 (undatiert),erschienen bei Dürrsche Buchhandlung, Leipzig (Privatarchiv). Ansicht der Deckseite, des Inhaltsverzeichnisses und Werbeanzeigen, Privatarchiv

Leipzig als wegweisender Standort der
Elementarschulreform im Deutschen Kaiserreich

Bereits zu Ostern 1911 starteten in Leipzig insgesamt 24 Versuchsschulklassen mit einem Gesamtunterrichtsansatz für 1.400 Schulanfängerinnen und Schulanfänger.

Zeitgleich wurde von den Mitgliedern der Fibelkommission des Leipziger Lehrervereins mit „Guck in die Welt“ eine Fibel entwickelt, die sich am Kind, seiner Lebenswelt und an neuen Erkenntnissen zum Lesen und der Anschauung von Kindern orientierte.

Die Fibel „Guck in die Welt“ beruhte auf umfangreichen Forschungsarbeiten der Leipziger Volksschullehrer Paul Vogel, Rudolf Bär, Richard Groh und Carl Rößger. Sie wurde ab 1914 in allen Leipziger Volksschulen eingesetzt und fand deutschlandweit große Beachtung.

„Um eine ruhige, gesunde Entwicklung der Kinder zu sichern, ist Lesen und Schreiben aus dem Betriebe des ersten Unterrichtsjahres völlig zu entfernen, das Rechnen nur als Anschauungsform beizubehalten und die Stundenzahl auf zwölf zu ermäßigen. Zu fordern ist ein alle Geistes- und Körperkräfte dieser Entwicklungsstufe beschäftigender Gesamtunterricht im Freien und im Zimmer, der zugleich die spätere Schularbeit am besten vorbereitet.“

In das Konzept der Elementarversuchsklassen, welches in der „Methodischen Abteilung“ des Leipziger Lehrervereins von den Junglehrern Paul Vogel, Paul Schnabel und Rudolf Bär entwickelt wurde, flossen neueste Erkenntnisse des Leipziger Universitätspsychologen Wilhelm Wundt (1832 – 1920) und des Experimentalpsychologen Ernst Meumann (1862 – 1915) ein. Das 1906 gegründete Institut für experimentelle Pädagogik und Psychologie des Leipziger Lehrervereins begleitete diesen Versuch.

 

 

Butterkrawalle und Spanische Grippe am Vorabend
der Revolution in Leipzig

Der I. Weltkrieg hinterließ auch in Leipzig seine Spuren – die Menschen hatten unter schweren sozialen und wirtschaftlichen Einschränkungen zu leiden. Es mangelte an Lebensmitteln, Brennstoffen und Hygieneartikeln. Immer wieder flammten Streiks und Unruhen auf, wie die „Butterkrawalle“. Infolge schlechter Lebensbedingungen nahmen Krankheiten, vor allem die Tuberkulose, drastisch zu. Ab 1918 brachte die Spanische Grippe die öffentliche Infrastruktur stellenweise zum Erliegen .

 

 „Infolge ungenügender Ernährung hat die Widerstandsfähigkeit der Bevölkerung recht nachgelassen. Die Leute können oft kaum noch ihre Arbeit verrichten. Jede an sich harmlose Krankheit macht sie arbeitsunfähig. Die Zahl der Fälle, in denen die Ärzte als Grund körperlichen Unbehagens Unterernährung feststellen, mehren sich von Tag zu Tag. Dies muss naturgemäß die Unzufriedenheit noch steigern. Es erscheint deshalb erwägenswert, auf die Ärzte in geeigneter Form einzuwirken, dass sie mit solchen Äußerungen dem Kranken bzw. deren Umgebung gegenüber möglichst vorsichtig sind, weil dadurch die an sich schon vorhandene Erregung gesteigert wird.“

Am 23. Oktober 1918 wurden „Dienstvorschriften für die Truppenteile der Garnison Leipzig bei Ausbruch von Unruhen und Krawallen“ erlassen, in denen „nötigenfalls“ auch der „Gebrauch der Schusswaffe“ vorgesehen war. Aber die Kriegsmüdigkeit und der ständige Hunger führten auch zu einer Resignation bei den Militärbehörden.

„Erziehungsnotstand“ in der Kriegszeit

Die Aufrechterhaltung des Schulbetriebs wurde wegen gefallener oder an der Front kämpfender Lehrer, fehlender Brennstoffe und der Belegung von Schulen mit Lazaretten immer schwieriger. Langwierige Unterrichtsausfälle, „Erziehungsnotstand“ und eine Verdreifachung von straffälligen 12- bis 14jährigen Kindern in den Jahren von 1917 bis 1918 waren die Folge.

Kultusminister Heinrich Gustav Beck äußerte am 1. März 1918 vor dem Landtag:
„Die vielfach ganz unzulängliche unterrichtliche und erzieherische Versorgung der Schuljugend hat Erscheinungen gezeigt, die zu sehr ernsten Besorgnissen Veranlassung geben.“

Revolutionsjahre 1918/1919/1920

Gründung von Arbeiter-
und Soldatenräten

Am 6. November 1918 gründeten sich die ersten sächsischen Arbeiter- und Soldatenräte, zwei Tage später kam es zu Aufständen auch in Leipzig. Der militärischen Niederlage der kaiserlichen Truppen folgte zwangsläufig die politische Kapitulation. Der Wunsch nach Frieden, Freiheit und Brot brachte auch die Menschen in Leipzig dazu, nicht länger an einen „Siegfrieden“ zu glauben.

 

Machtübernahme in Leipzig

Am 8. November 1918 kamen ca. einhundert Fronturlauber am Leipziger Hauptbahnhof an, die nicht mehr zu ihren Einheiten zurückkehren wollten. Sie entwaffneten die Bahnpolizei und liefen ungehindert durch die Innenstadt. Zeitgleich entwaffneten Soldaten in Leipziger Kasernen ihre Offiziere. Mit einer roten Fahne an der Spitze marschierten schließlich Hunderte von Soldaten durch die Stadt zur Zeitzer Straße Nr. 32 (heute Karl-Liebknecht-Straße) ins Volkshaus und anschließend durch die Südstraße (heute Karl-Liebknecht-Straße) nach Connewitz. Frauen mit roten Schleifen liefen mit.

 

Auch in den Connewitzer Kasernen entwaffneten Soldaten ihre Offiziere und fuhren - jetzt auf 800 Mann angewachsen - teilweise mit Straßenbahnen zurück in die Innenstadt, um sich noch einmal im Hauptbahnhof zu versammeln. Im Volkshaus wurde sehr schnell ein „Großer Arbeiter- und Soldatenrat“ gebildet. An seiner Spitze stand der USPD-Reichstagsabgeordnete Richard Lipinski (1867 – 1936), der noch vor kurzem wegen seiner Befürwortung eines raschen Kriegsendes in Haft gesessen hatte.

"Schneller als sich die Gewalthaber von gestern dachten, ist der große Zusammenbruch … gekommen."

Bürgerausschuss

Am 9. November 1918 schrieb der linksliberale Geschichtsprofessor Walter Goetz (1867-1958) an den Arbeiter- und Soldatenrat, um einen „gemeinsamen, einheitlichen Bürgerausschuss“ zu bilden. Walter Goetz wollte damit die Interessen möglichst aller Kreise der Leipziger Bürgerschaft wahren. Er dachte dabei an Ärzte, Handwerker, Angestellte, Beamte, Händler, Verleger, Apotheker, Künstler oder Intellektuelle. Der Arbeiter- und Soldatenrat lehnte diese Zusammenarbeit ab.

Generalstreik

Für den 9. bis 11. November 1918 wurde ein Generalstreik angekündigt. Am 10. November versammelten sich ca. 100.000 Menschen zu einer Kundgebung der stärksten Partei in Leipzig – der USPD – auf dem Augustusplatz. Der „engere Ausschuss“ des „Großen Arbeiter- und Soldatenrates“ (33 Mitglieder) bestand ausnahmslos aus USPD-Funktionären, darunter Friedrich Geyer (1853 – 1937), Curt Geyer (1891 – 1967), Karl Ryssel (1869 – 1939), Hermann Liebmann (1882 – 1935), Richard Lipinski (1867 – 1936) und Friedrich Seger (1867 – 1928). In den schriftlichen Proklamationen ist von Freien Wahlen und Frauenrechten nicht die Rede.

Eine Mitarbeit der Gewerkschaften und der wenigen Mehrheitssozialdemokraten (MSPD) sowie eines Bürgerausschusses unter Prof. Dr. Walter Goetz (1867 – 1958) wurde abgelehnt. Damit wurde die große Distanz der neuen ASR-Machthaber zu demokratischen Beteiligungs- oder Mitspracherechten deutlich. Die Unabhängigen Sozialdemokraten, versammelten ihre Mitglieder nicht nur in Arbeiterkreisen, sondern besonders auch beim Leipziger Lehrerverein, dem 90 Prozent der Volksschullehrer angehörten.

Am 9. November 1918 erschien in allen Zeitungen die Rede des USPD-Parteivorsitzenden Richard Lipinski: „Arbeiter- und Soldatenrat verfügen über die tatsächliche Macht. Sie verfügen über sämtliche Verbindungsmittel. Sonnabend treten sämtliche Betriebe außer den Betrieben der Lebensmittelversorgung und des Verkehrs in den Generalstreik. Die Durchführung der sozialistischen Republik ist also in Leipzig in die Wege geleitet (…). Es gilt, den Kampf und die Beseitigung der alten Mächte und die Herbeiführung geordneter sozialistischer Zustände, es gilt weiter, den Kampf gemeinsam mit der übrigen sächsischen und deutschen Arbeiterschaft zu führen, damit auch im übrigen Deutschland die alten Gewalten gestürzt und die Sozialisierung der Gesellschaft eingeleitet wird. Das Ziel der Bewegung ist die Sozialistische Republik Deutschland.“

Am 10. November 1918 stand in allen Zeitungen ein Aufruf der neuen ASR-Beauftragten: „An das sächsische Volk! Das kapitalistische System hat seinen Zusammenbruch erlebt. Die bürgerliche monarchische Regierung ist gestürzt. Das revolutionäre Proletariat hat die öffentliche Gewalt übernommen. Sein Ziel ist die sozialistische Republik. Verwirklichung des Sozialismus heißt: Verwandlung der kapitalistischen Produktion in gesellschaftliche, Enteignung des Privateigentums an Grund und Boden, Berg- und Hüttenwerke, Rohstoffe, Banken, Maschinen, Verkehrsmittel usw. Umwandlung der Warenproduktion in sozialistische, Übernahme der Produktion durch das Proletariat. Aufgabe der sozialistischen Regierung ist, die Revolution fortzusetzen und zu steigern bis zur völligen Überwindung der herrschenden bürgerlichen Klasse."

"Verwirklichung der Republik heißt absolute Herrschaft des Willens der Arbeiterklasse, Beseitigung der Knechtschaft in jeder Form, allgemeine Volksbewaffnung zum Schutze der Errungenschaft der Revolution, Abschaffung aller Arten des arbeitslosen Einkommens, Trennung der Kirche vom Staat, Abschaffung aller bürgerlichen Gerichte. Die republikanische Regierung Sachsens hat die besondere Aufgabe, die Liquidierung des sächsischen Staates herbeizuführen und die einheitliche sozialistische deutsche Republik zur Tatsache zu machen. Unterschrieben wurde der Aufruf von: Schwarz, Neuring. Fleißner. Rühle. Geyer. Lipinski, Seger. Heckert. Mälzer. Fellisch.“

Damit stellte sich zugleich das neue Kabinett von Richard Lipinski vor. Der sächsische Staat sollte sich auflösen, ein sozialistischer Zentralstaat unter Einschluss von Österreich entstehen. Die neuen und alten Feindbilder der Linken wurden klar benannt: Das Bürgertum und die Kirche, die mit der Monarchie gleichgesetzt wurden, die (bürgerlichen) Gerichte und das föderale System der Bundesstaaten.

Victor Klemperer schrieb in seinem Revolutionstagebuch: 

„Ich traf die Radikalsten in den Coburger Hallen, einem ziemlich jämmerlichen Lokal am Brühl. Der Redner … bewies seinen stillen Hörern die Notwendigkeit des Bürgerkrieges, so wie der Lehrer in der Schule einen mathematischen Lehrsatz entwickelt: 'Wir sind die Armen und Ungebildeten. Die Revolution hat uns gar nichts geholfen, eine bürgerliche Republik ist entstanden, die Regierungssozialisten haben uns verraten, sie sind uns mindestens ebenso feindlich wie die anderen Rechtsparteien."

"Die Presse gehört den Besitzenden und Gebildeten, unter der allgemeinen Pressfreiheit sind allein wir unfrei. Die geplante Nationalversammlung wird eine Mehrheit der Besitzenden und Gebildeten aufweisen … Es gibt keine allgemeine Freiheit … wir müssen das Zustandekommen der Nationalversammlung verhindern, wir müssen die Presse ganz in unsere Hand bekommen und allein in unsere Hand, wir müssen die Diktatur des Proletariats errichten und aufrecht halten, bis aller Besitz verstaatlicht und bis die uns vorenthaltene Bildung unser ist. Das ist nur mit Gewalt zu erreichen.“

Kompetenzkämpfe in den Verwaltungen

Während auch in Leipzig die Arbeiter- und Soldatenräte ihre sozialistischen Zukunftspläne propagierten, kam es im Alltag zu erheblichem Kompetenzgerangel zwischen den neuen Arbeiter- und Soldatenräten und den alten Behörden.

Entgegen den Verfügungen der sächsischen Übergangsregierung, keine eigenmächtigen Personalentscheidungen zu treffen, wurden Leipziger Schuldirektoren vom Leipziger Arbeiter- und Soldatenrat abgelöst. Auch wurde der Religionsunterricht an Leipziger Schulen umgehend abgesetzt, lange bevor das Übergangsgesetz im Juli 1919 dies für alle Schulen in Sachsen bestimmte.

Bericht über unzulässige Kompetenzüberschreitungen der Arbeiter- und Soldatenräte, wie die Absetzung eines Schuldirektors und eines Gemeindeältesten in Leipzig. (Sächsisches Staatsarchiv, 12718 Ministerium des Inneren, Nr. 11090, Blatt 3), Sächsisches Staatsarchiv, 12718 MdI, Nr. 11090, Bl.3

Wahlkampfgetöse und
erneuter Generalstreik

In Vorbereitung auf die ersten freien Wahlen im Januar und Februar 1919 machten verschiedene Parteien und Vereinigungen ihre politischen Ideen auf der Straße mit Flugblättern und Streikaufrufen publik. Um die ersten freien Wahlen zu verhindern, versuchten die Leipziger Unabhängigen (USPD) und die Leipziger Arbeiter- und Soldatenräte das außer Kraft gesetzte Dreiklassenwahlrecht umzukehren: Das neue Wahlrecht sollte nach ihren Vorstellungen nur noch für Arbeiter und Angestellte bis 5.000 Mark Jahreseinkommen oder für Parteimitglieder der SPD gelten.

Für den 24. Februar 1919 wurde von den Arbeiter- und Soldatenräten zum Generalstreik in Leipzig aufgerufen. Dieser Aufruf wurde mit einem Gegenaufruf zum Abwehrstreik vom Leipziger Bürgerausschuss beantwortet und damit der Generalstreik beendet. Letztendlich kam das gesamte öffentliche Leben in der Stadt zum Erliegen. Von der ersten frei gewählten Volkskammer Sachsens wurde am 28.02.1919 eine vorläufige Verfassung verabschiedet.

Dennoch blieben die Zeiten unruhig. Die Leipziger Revolutionsführer kämpften sechs Monate lang um die Aufrechterhaltung einer eigenen unabhängigen Räterepublik und zugleich gegen die aus freien und gleichen Wahlen hervorgegangenen sozialdemokratischen Landes- und Reichsregierungen.

Die Leipziger Arbeiterschaft unterstützte den Generalstreik. 40.000 Arbeiter stimmten in den Betrieben für den Generalstreik, 5.000 dagegen.

"Arbeiter, der Streik ist beschlossen. Er muß durchgeführt werden, trotz aller Opfer. Er muß mit gewaltiger Wucht einsetzen. Solidarität muß geübt werden. Heraus aus den Betrieben! Keiner darf sich ausschließen!
Heraus zum Generalstreik für den Sozialismus!"

„Der Bürgerausschuss griff als aktiv handelndes Element in die Politik ein, durch seine Initiative wurde ein ‚Abwehrstreik’ organisiert, um die regierenden Unabhängigen Sozialdemokraten aus ihrer Machtposition zu verdrängen. Eine Arbeitsniederlegung Leipziger Ärzte wurde in die Tat umgesetzt.“

Vorläufiges Grundgesetz für den Freistaat Sachsen vom 28. Februar 1919, Sächsisches Staatsarchiv, Hauptstaatsarchiv Dresden, 10699 Neuere Urkunden, K. 613, Nr. 007.

Mehlrationierung, Schieberwesen
und Verwahrlosung der Jugend

Am 10. Dezember, nach den vielen entbehrungsreichen Kriegsmonaten schrieb die Leipziger Volkszeitung (LVZ), dass die Wochenration an Kartoffeln von sieben auf fünf Pfund herabgesetzt werde. Es fehlte auch an Fett, Milch und Brennstoffen. Viele Leipzigerinnen und Leipziger erlebten die neue Demokratie im alltäglichen Leben auch weiterhin als Kampf um rationierte Lebensmittel, während das Schieberwesen aufblühte. Das Leben wurde begleitet von ständigen Unruhen und die „sittliche Verwahrlosung der Jugend“ wurde häufig beklagt.

Im „Allgemeinen Bericht über die Städtischen Volksschulen in Leipzig in den Schuljahren 1918/1919" berichtete Johannes Bähr über die sittliche Verwahrlosung der Jugend:
„Kein Wunder, wenn sich namentlich größere Knaben an den Ausschreitungen der Straße beteiligten…in dem Glauben, dass es nun überhaupt keine Autorität mehr gäbe, auch der Zucht der Schule widerstrebten… Schülerforderungen tauchten hier und da auf, Arbeitsunlust und Faulheit traten zutage…“

 

Zudem wurden weitere "Sünden" beklagt: „Die weitaus größte Zahl der jugendlichen Sünder wurde ein Opfer der herrschenden Fußballseuche: sie haben diesen Sport verbotenerweise auf den Straßen und öffentlichen Plätzen ausgeübt."

Einen nahezu aussichtslosen Kampf gegen „Schundmusik an Operettenschlagern und Modetänzen“ führten Lehrer ebenso wie gegen den „Besuch von Kinos und anderen ungeeigneten Orten“.

Bericht über das sittliche Verhalten der Schuljugend im Schuljahr 1918/1919, verfasst von Johannes Bähr.: Leipzig, 1920, S. 66 ff., DNB, ZDB-ID 1355303-3

Bürgerkriegswoche und Blutsonntag
nach dem Kapp-Lüttwitz-Putsch

Der 14. März 1920 ging als Blutsonntag von Leipzig in die Geschichte ein. Bis zum 20. März flammten immer wieder heftige Unruhen und Schießereien in einer unübersichtlichen und von Missverständnissen geprägten Gesamtsituation auf, in der Reichswehrbrigaden, das Leipziger Zeitfreiwilligenregiment sowie demonstrierende Leipziger Arbeiter gegeneinander kämpften. 150 Menschen darunter viele Unbeteiligte, verloren in diesen Tagen in Leipzig ihr Leben.

Der Kampf um das Leipziger Volksschulwesen

Forderungen nach
einem neuen Volksschulgesetz

Seit dem Jahr 1900 gab es im Königreich Sachsen Bestrebungen, das Volksschulgesetz aus dem Jahr 1873 zu modernisieren. Dieses Schulgesetz galt vielen „als mustergültig".  Sachsen war „vielfach beneidet worden ..., da dessen Schulwesen dadurch vor dem der meisten anderen deutschen Staaten einen bedeutenden Vorsprung erhielt“.

 

Der Reformeifer des Sächsischen Lehrervereins richtete sich vor allem gegen die bestehenden Bildungsgrenzen infolge der sozialen oder religiösen Herkunft oder des Geschlechts.

Einheitsschule und Arbeitsschule
als Leitideen des Sächsischen Lehrervereins
vor dem ersten Weltkrieg

Der Sächsische Lehrerverein forderte (1911) unter anderem die Überwindung des gegliederten Volksschulwesens durch die Einheitsschule und eine Reform des Religionsunterrichts. Zudem sollte im Unterricht mit dem Stoffprinzip gebrochen und eine möglichst große Selbsttätigkeit des Kindes gemäß den Grundsätzen der Arbeitsschule ermöglicht werden. Der Verband  Sächsischer Lehrerinnen trat für eine obligatorische Mädchenfortbildungsschule (Berufsschule) ein.

Wünsche der sächsischen Lehrerschaft zu der Neugestaltung des Volksschulgesetzes

„Die allgemeine Volksschule ist einzuführen. Diese kennt nur eine Gattung von Volksschulen mit einem dem Stande der gegenwärtigen mittleren BIldung entsprechenden Mindestmaß von Stunden. Innerhalb der Volksschule ist eine Gliederung nach Konfession und Vermögen der Eltern unzulässig. Alle Kinder haben mindestens vier Jahre lang die Volksschule zu besuchen und darüber hinaus weitere vier Jahre die, die nicht in eine höhere Schule eintreten. Der Volksschulunterricht ist unentgeltlich.“

„Die sächsische Lehrerversammlung spricht sich einstimmig für die Arbeitsschule aus. Sie erstrebt damit die Heranbildung des Kindes zum tätigen, handelnden Glied der Kulturgemeinschaft.
Zur Erreichung dieses Zieles ist es notwendig, daß die Schule mehr die Form der produktiven, alle Kräfte bildenden Arbeiten pflegt (die geistige wie die körperliche), das Lernen möglichst in Verbindung mit der Arbeit bringt und die Anschauungs- und Kulturstoffe entsprechend der jeweiligen Entwicklungsstufe des Kindes auswählt.“

Der Regierungsentwurf eines neuen Volksschulgesetzes von 1912 wurden von Sozialdemokraten, Nationalliberalen und Freisinnigen abgelehnt. Eine überarbeitete Fassung scheiterte an den politischen Mehrheitsverhältnissen.

Der SPD-Abgeordnete Herrmann Fleißner (1865-1939) betonte 1912:
"Lieber kein Schulgesetz als ein schlechtes!"

Forderungen des
Großen Lehrerrats in Leipzig 1918

Während der Revolution im November 1918 bildete sich in Leipzig der Große Lehrerrat. Dieser bestand aus 51 Mitgliedern des Leipziger Lehrervereins, andere Vereine waren nicht zugelassen. Der Große Lehrerrat suchte eine enge Kooperation mit dem Arbeiter- und Soldatenrat, um seine Ziele zu erreichen. Seine Hauptforderungen waren die Trennung von Kirche und Schule, das Ende der geistlichen Schulaufsicht, die Abschaffung des konfessionellen Religionsunterrichts und die Einrichtung weltlicher Einheitsschulen.

Leipziger Thesen vom 2. April 1919
"Wir fordern die weltliche Schule. Wir erblicken in der Erziehung zur sittlichen Persönlichkeit nach wie vor die Aufgabe der gesamten Schularbeit. Wir lehnen es ab, die Jugend im Sinne eines religiösen Bekenntnisses zu beeinflussen." 

"Wir bekennen uns zu der Aufgabe, durch Gewöhnung und Belehrung, insbesondere durch Vorführung von Vorbildern sittlicher Lebensführung aus derMenschheitsgeschichte und, auf der Oberstufe, durch eine zusammenfassende und vertiefende Darstellung der sittlichen Pflichten in anschaulicher Form die sittliche Erziehung der Jugend zu fördern, den Kindern durch einen objektiven Unterricht in Religionsgeschichte das allgemeine religiöse Kulturgut vorzuführen und dadurch die selbstständige Erarbeitung einer Weltanschauung vorzubereiten."

"Festsetzungen über diesen Unterricht sind lediglich eine pädagogische Angelegenheit; wir weisen daher alle Ansprüche der Kirche auf Mitwirkung und Aufsicht zurück und überlassen es den Religionsgemeinschaften, für die konfessionelle Unterweisung der Kinder außerhalb der Schule zu sorgen.“

Das Übergangsschulgesetz vom
22. Juli 1919 – ein vermeintlicher Sieg
des Leipziger Lehrervereins

Noch vor dem Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung wurde in Sachsen am 22. Juli 1919 ein „Übergangsgesetz für das Volksschulwesen“ veröffentlicht, das wesentliche Inhalte des Gesetzesentwurfs von 1912 sowie Reformvorschläge des Sächsischen und Deutschen Lehrervereins von 1919 umfasste. Das sächsische Übergangsschulgesetz galt in linken Kreisen der Lehrerschaft als eines der fortschrittlichsten Schulgesetze der Weimarer Republik. Für diese Ziele hatte auch die Mehrheit der Leipziger Volksschullehrer und der Leipziger Lehrerverein jahrzehntelang gekämpft.

 

"§ (1) Die Volksschulen sind als allgemeine Volksschulen für alle Kinder des Schulbezirks ohne Unterschied des Vermögens und der Religion einzurichten. Den Religionsgesellschaften können auf Antrag Räume der öffentlichen Volksschule zur Erteilung des Religionsunterrichts zur Verfügung gestellt werden.

§ 5 (1) Für die zum Besuche der Ortsschule verpflichteteten Volksschüler und Fortbildungsschüler darf kein Schulgeld erhoben werden.

§ 6 (1) Zur Errichtung von Privatschulen für solche Kinder, die nach ihrer körperlichen und geistigen Veranlagung und Behaffenheit unbedenklich am Unterricht der allgemeinen Volksschule teilnehmen können, soll künftig in der Regel keine Genehmigung erteilt werden."

 

Neuordnung des Leipziger Schulwesens

Die Neuordnung des Leipziger Volksschulwesens wurde ab 1919 zügig in Angriff genommen. Die Schulbezirke wurden neu festgelegt und umfassten nun alle Kinder unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit. Die bestehenden Bürger- und Bezirksschulen wurden aufgehoben und zur allgemeinen Volksschule verschmolzen. Alle evangelischen Volksschulen wurden weltliche Einheitsschulen, vier katholische Volksschulen blieben erhalten.

Die achtklassige Volksschule wurde nach den ersten vier Schuljahren in Sprach-, Haupt- und Förderklassen gegliedert, so dass Kinder „nach ihren Leistungen und nach Grad und Art ihrer Begabung getrennt“ unterrichtet wurden. Alle Direktoren wurden entlassen oder neu gewählt. Die Lehrerräte an den Schulen übernahmen die Rolle der Schulaufsicht. Gewählte Eltern- und Schülerräte erhielten Mitspracherechte. 

„Die Jahre 1918/1919 und 1919/1920 brachten dem Leipziger Volksschulwesen eine gewaltige Veränderung: Aus der nach Vermögenssätzen gestaffelten Standesschule wurde die nach Begabungsarten und –graden sich gliedernde unentgeltliche allgemeine Volksschule.“

 

„Der Novembersturm wehte den alten Obrigkeitsstaat wie dürres Laub weg. An seine Stelle trat die Gemeinschaftsarbeit des ganzen Volkes… Ein altes Problem der unterdrückten Arbeiterklasse war die Umgestaltung der Volksschule. Sie war so recht das Stiefkind geworden, sie litt unter dem doppelten Druck des Staates und der Kirche, sie war die Schule der Armen…Realschulen, Gymnasien, Universitäten waren nur der besitzenden Klasse vorbehalten...Damit war die Schule als Instrument des Klassenstaates gezeichnet.“

 

Einheitsschule und Religionsunterricht
als erbitterte Streitpunkte

Zwickauer Thesen für einen pädagogisch
gestalteten Religionsunterricht

Ein Thema, welches ab 1905 in den sächsischen Lehrervereinen und in der öffentlichen Diskussion zunehmend an Schärfe gewann, war die Gestaltung des Religionsunterrichts. Eine Mehrheit der Lehrkräfte trat für eine inhaltliche und methodische Veränderung des Religionsunterrichts ein, wie sie in den Zwickauer Thesen dargelegt wurde, eine kleine Gruppe sozialdemokratischer Lehrkräfte forderte die weltliche Schule. Auch einige Pfarrer in Sachsen traten für einen reformierten Religionsunterricht ein. Letztendlich gingen jedoch 800 Einsprüche der Kirchenbehörden gegen die Zwickauer Thesen im Kultusministerium ein, damit die „christliche Schule vor solchem Unterricht bewahrt und die evangelisch-lutherische Gemeinde im Glauben ihrer Väter erhalten werde.“ 

1. Religion ist ein wesentlicher Unterrichtsgegenstand und der Religionsunterricht eine selbstständige Veranstaltung der Volksschule.

2. Er hat die Aufgabe, die Gesinnung Jesu im Kinde lebendig zu machen.

3. Lehrplan und Unterrichtsform müssen dem Wesen der Kindesseele entsprechen, und Festsetzungen darüber sind ausschließlich Sache der Schule. Die kirchliche Aufsicht über den Religionsunterricht ist aufzuheben.

4. Nur solche Bildungsstoffe kommen in Betracht, in denen dem Kinde religiöses und sittliches Leben anschaulich entgegentritt. Der Religionsunterricht ist im Wesentlichen Geschichtsunterricht. Im Mittelpunkte hat die Person Jesu zu stehen. Besondere Beachtung verdienen außer den entsprechenden biblischen Stoffen auch Lebensbilder von Förderern religiöser und sittlicher Kultur auf dem Boden unseres Volkstums mit Berücksichtigung der Neuzeit. In ausgiebiger Weise sind auch die Erlebnisse des Kindes zu verwerten.

5. Die Volksschule hat systematischen und dogmatischen Religionsunterricht abzulehnen. Für die Oberstufe können als geeignete Grundlage für eine Zusammenfassung der in der christlichen Religion enthaltenen sittlichen Gedanken die Zehn Gebote, die Bergpredigt und das Vaterunser bezeichnet werden. Der Katechismus Luthers kann nicht Grundlage und Ausgangspunkt der religiösen Jugendunterweisung sein. Er ist als religionsgeschichtliche Urkunde und evangelische-lutherische Bekenntnisschrift zu würdigen.

6. Der religiöse Lernstoff ist nach psychologisch-pädagogischen Grundsätzen neu zu gestalten und wesentlich zu kürzen, der Lernzwang zu mildern.

7. Der Religionsunterricht soll vor dem dritten Schuljahr nicht als selbstständiges Unterrichtsfach auftreten. Die Zahl der Stunden ist, damit das kindliche Interesse nicht erlahme, auf allen Unterrichtsstufen zu vermindern. Die bisher übliche Zweiteilung des Religionsunterrichts in Biblische Geschichte (Bibelerklärung) und Katechismuslehre, sowie die Anordnung des Stoffes nach konzentrischen Kreisen ist abzulehnen. Ebenso müssen Religionsprüfungen und Religionszensuren wegfallen.

8. Der gesamte Religionsunterricht muss im Einklange stehen mit den gesicherten Ergebnissen der wissenschaftlichen Forschung und dem geläuterten sittlichen Empfinden unserer Zeit.

9. Neben der Reform des Religionsunterrichts und der Volksschule ist eine entsprechende Umgestaltung des Religionsunterrichts im Seminar notwendig.

Kampf gegen die Abschaffung des
Religionsunterrichts in Leipzig 1919

Richard Lipinski begründete mit seiner Schrift "Die allgemeine Volksschule und der Religionsunterricht in der Republik Sachsen" die Abschaffung des Religionsunterrichts im Übergangsgesetz von 1919 (§ 2).

Dieser Paragraf stand von Anfang an im Widerspruch zu den Vorabsprachen für die Weimarer Reichsverfassung. Seine Umsetzung erregte die Gemüter in Leipzig aufs heftigste, denn viele Eltern, Pfarrer, Politiker und Juristen wollten die Aufhebung des Religionsunterrichts nicht hinnehmen. Protestantische und katholische Gläubige in Sachsen sahen sich zunehmend gezwungen, ihre Rechte auf der Reichsebene zu verhandeln.

„(2) Religionsunterricht wird in der allgemeinen Volksschule nicht mehr erteilt.“

„Die Sozialdemokraten verfechten die Ansicht, dass die Volksschule Wissen und nicht Glauben vermitteln soll. Das kann nur geschehen, wenn die Religion restlos aus der Schule entfernt wird und der Religionsunterricht als rein kirchliche Angelegenheit der Kirche überlassen wird. Viel zu lange hat die Kirche die Schule und damit das Volk beherrscht..."

"Der Staat kann sich nicht in den Dienst einer bestimmten kirchlichen Richtung stellen. Um der Einheit der Erziehung willen, muss die Entfernung des Religionsunterrichtes aus der Schule durchgeführt werden. Es ist doch fraglich, ob das Kind überhaupt Religion habe. Beschränkt man die Religion auf ihr eigenstes Gebiet, fasst man den Begriff scharf und nimmt von ihm Kunst, Sittlichkeit, Wissenschaft und Philosophie weg, so bleibt als Wesensinhalt der Religion die Überzeugung eines Erlebens, das über Erfahrungen hinausreicht“

Noch Ende Dezember 1918 versammelten sich 7.000 evangelische und katholische Gläubige im Dresdner Zirkus Sarrasani, um eine Protestresolution zu verabschieden. Darin wurde der sächsischen Regierung das Recht abgesprochen, Entscheidungen über das Schicksal von Christentum und Kirche zu treffen, für die allein die Nationalversammlung zuständig sei.

Bis Mitte Februar gelang es der evangelischen Landeskirche in Sachsen, die Hälfte aller erwachsenen evangelischen Gläubigen zu Unterschriften zu bewegen, die gegen diese Verordnungen protestierten. Mehr als eine Million (1.079.449) Unterschriften führten schließlich am 11. März 1919 zu einer Sondersitzung der Nationalversammlung zum Thema „Religionsunterricht, Kirche, Schule und Staat“.

Weimarer Schulkompromiss – Grundschulen für alle
Kinder und Religionsunterricht als Verfassungsrecht

"Die politische Bedeutung der Schulfragen zeigt sich darin, dass sie mit der Weimarer Reichsverfassung (WRV) vom 11. August 1919 in Art. 142 bis 149 erstmals Verfassungsrang erhalten." Der Religionsunterricht blieb laut Verfassung ein ordentliches Lehrfach in der Volksschule. Erstsmals in Deutschland wurde eine für alle Kinder gemeinsame Grundschule als Basis für das mittlere und höhere Schulwesen eingeführt. Die Bezeichnung "Weimarer Schulkompromiss" verweist darauf, dass die Verhandlungen konfliktreich verliefen und ein Nachgeben sowohl von konservativen wie auch progressiven Parteien erforderten.

Der Weimarer Schulkompromiss ermöglichte als Minimalkompromiss der Weimarer Koalition von SPD, DDP und Zentrumspartei die Einrichtung einer gemeinsamen vierjährigen Grundschule für alle Kinder, die im April 1920 im Reichsgrundschulgesetz fixiert wurde. Mit weitergehenden Forderungen nach einer zehnjährigen weltlichen Einheitsschule für alle Klassen und alle Konfessionen konnte sich die SPD nicht durchsetzen. Konservative Parteien, wie die DNP, mobilisierten gegen das "Kinderzwangszuchthaus" Grundschule, das als ein "Machwerk der Novemberverbrecher" galt.

Artikel 144. Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates; er kann die Gemeinden daran beteiligen. Die Schulaufsicht wird durch hauptamtlich tätige, fachmännisch vorgebildete Beamte ausgeübt.

Artikel 145. Es besteht allgemeine Schulpflicht. Ihrer Erfüllung dient grundsätzlich die Volksschule mit mindestens acht Schuljahren und die anschließende Fortbildungsschule bis zum vollendeten achtzehnten Lebensjahre. Der Unterricht und die Lernmittel in den Volksschulen und Fortbildungsschulen sind unentgeltlich.

Artikel 146. Das öffentliche Schulwesen ist organisch auszugestalten. Auf einer für alle gemeinsamen Grundschule baut sich das mittlere und höhere Schulwesen auf. Für diesen Aufbau ist die Mannigfaltigkeit der Lebensberufe, für die Aufnahme eines Kindes in eine bestimmte Schule sind seine Anlage und Neigung, nicht die wirtschaftliche und gesellschaftliche Stellung oder das Religionsbekenntnis seiner Eltern maßgebend. Innerhalb der Gemeinden sind indes auf Antrag von Erziehungsberechtigten Volksschulen ihres Bekenntnisses oder ihrer Weltanschauung einzurichten, soweit hierdurch ein geordneter Schulbetrieb, auch im Sinne des Abs. 1, nicht beeinträchtigt wird.

Der Wille der Erziehungsberechtigten ist möglichst zu berücksichtigen. Das Nähere bestimmt die Landesgesetzgebung nach den Grundsätzen eines Reichsgesetzes. Für den Zugang Minderbemittelter zu den mittleren und höheren Schulen sind durch Reich, Länder und Gemeinden öffentliche Mittel bereitzustellen, insbesondere Erziehungsbeihilfen für die Eltern von Kindern, die zur Ausbildung auf mittleren und höheren Schulen für geeignet erachtet werden, bis zur Beendigung ihrer Ausbildung.

Artikel 147. Private Schulen als Ersatz für öffentliche Schulen bedürfen der Genehmigung des Staates und unterstehen den Landesgesetzen. Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn die Privatschulen in ihren Lehrzielen und Einrichtungen sowie in der wissenschaftlichen Ausbildung ihrer Lehrkräfte nicht hinter den öffentlichen Schulen zurückstehen und eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird. Die Genehmigung ist zu versagen, wenn die wirtschaftliche und rechtliche Stellung der Lehrkräfte nicht genügend gesichert ist.

Private Volksschulen sind nur zuzulassen, wenn für eine Minderheit von Erziehungsberechtigten, deren Wille nach Artikel 146 Abs.2 zu berücksichtigen ist, eine öffentliche Volksschule ihres Bekenntnisses oder ihrer Weltanschauung in der Gemeinde nicht besteht oder die Unterrichtsverwaltung ein besonderes pädagogisches Interesse anerkennt. Private Vorschulen sind aufzuheben. Für private Schulen, die nicht als Ersatz für öffentliche Schulen dienen, verbleibt es bei dem geltenden Recht.

Artikel 148. In allen Schulen ist sittliche Bildung, staatsbürgerliche Gesinnung, persönliche und berufliche Tüchtigkeit im Geiste des deutschen Volkstums und der Völkerversöhnung zu erstreben. Beim Unterricht in öffentlichen Schulen ist Bedacht zu nehmen, daß die Empfindungen Andersdenkender nicht verletzt werden. Staatsbürgerkunde und Arbeitsunterricht sind Lehrfächer der Schulen.

Jeder Schüler erhält bei Beendigung der Schulpflicht einen Abdruck der Verfassung. Das Volksbildungswesen, einschließlich der Volkshochschulen, soll von Reich, Ländern und Gemeinden gefördert werden.

Artikel 149. Der Religionsunterricht ist ordentliches Lehrfach der Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien (weltlichen) Schulen. Seine Erteilung wird im Rahmen der Schulgesetzgebung geregelt. Der Religionsunterricht wird in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der betreffenden Religionsgesellschaften unbeschadet des Aufsichtsrechts des Staates erteilt.

Die Erteilung religiösen Unterrichts und die Vornahme kirchlicher Verrichtungen bleibt der Willenserklärung der Lehrer, die Teilnahme an religiösen Unterrichtsfächern und an kirchlichen Feiern und Handlungen der Willenserklärung desjenigen überlassen, der über die religiöse Erziehung des Kindes zu bestimmen hat. Die theologischen Fakultäten an den Hochschulen bleiben erhalten.

Verfassungswidriges Verbot
des Religionsunterrichts in Sachsen

Die Bildungspolitik in Sachsen hielt zunächst verfassungswidrig am Verbot des Religionsunterrichts fest. Die Einrichtung konfessioneller Schulen wurde weiterhin nicht gestattet, selbst Konfirmandenstunden wurden unterlaufen. Viele Leipziger Eltern und Kirchenvertreter erlebten so, dass die junge Demokratie das Verfassungsrecht ihrer Kinder auf Religionsunterricht missachtete und sie selbst mit Spott und Häme, auch durch den Leipziger Lehrerverein, bedacht wurden.

Briefauszug Katharina Herz (Ehefrau des Pfarrers Johannes Herz, Versöhnungsgemeinde Leipzig-Gohlis)

„Ulrich geht nun noch nicht in die Schule. Wir wurden dieses Entschlusses von Neuem froh, als wir neulich eine fürchterliche Lehrerversammlung mitgemacht hatten. So etwas hatte man selber in Parteiversammlungen noch nicht erlebt, wenigstens unsereiner.

Jedes Wort für die Kirche wurde mit Hohn und Spott begossen, die sprechenden Geistlichen ausgelacht und gepfiffen, Johannes (Herz) rissen sie beinahe vom Podium, ein Gejohle so unanständig und ungebildet wie möglich. Alle Nicht-Lehrer, die man sprach, waren entsetzt über diesen Verlauf. Und man hätte weinen können, dass man solchen Menschen seine Kinder anvertrauen muss.“

Beschwerdebrief von Pastor Köhler (Johanniskirche) von 1921 

In genauester Befolgung dieser Anordnungen habe ich die ersten Konfirmandenstunden festgesetzt. Der Erfolg war, dass am Donnerstag von den Mädchen vier und am Freitag von den Knaben acht fehlten. Es handelt sich um Kinder, die alle die 9. Volksschule besuchen. Die Eltern haben zum Teil ihre Kinder entschuldigt, dass die Lehrer den Kindern verboten hätten, die Konfirmandenstunde zu besuchen, weil zu gleicher Zeit Schulunterricht sei.

Mir sind genannt worden ein Lehrer Tuch für die Mädchen und ein Lehrer Knorr für die Knaben. Der letztere- hat mir ein Mann heute früh gesagt- habe seinen Schülern Strafe angedroht, wenn sie den Konfirmandenunterricht besuchten. Was nützt da eine solche Vereinbarung?

In aller Ehrerbietung
Köhler, Pastor an der Johanniskirche

Spottgedicht des Leipziger Lehrervereins „Die neueste Schlacht von Leipzig“

Als rings die Welt in Brand und Blut, fand das die Kirche recht und gut.
Wie war sie still, wie war sie zahm, als es ein schlimmes Ende nahm
Doch heute ist die milde auf einmal äußerst wilde.
 

Von Kanzeln und Kathedern schreit’s an Zetteln und Plakaten schneit’s
Durch Straßen und in Häuser geht’s, selbst in der Leipziger Neu’sten steht’s:
Die radikalen Lehrer, das sind die Friedensstörer!

Nanu? Wieso? Die woll’n doch bloß die Schule von der Kirche los.
Verlangen Wahrheit, Klarheit, Licht! Ja, das verträgt die Kirche nicht!
Denn leichter rückst du Berge nach vorwärts als die Kärche.

Auf einmal ist –wie sonderbar- die Sittlichkeit schwer in Gefahr.
Der Lehrer schlecht und rot gesinnt – o Bürger schütz dein armes Kind!
Jetzt musst du dich entscheiden: Hier Christen und dort Heiden!

Der Landgerichtsrat Hering ist der Feldmarschall und Oberchrist
Der Bischof und der Super’dent, die reichen schmunzelnd sich die Händ.
Wirf sie zum Höllenpfuhle, die kirchenfreie Schule!

Fort Lebenskunde und Moral! Bleibt nur bei Sprachbuch und Choral!
Denn wer es anderswie probiert, wird nicht gefirmt, nicht konfirmiert.
Und schließlich, ohne Zweifel, holt ihn dann noch der Teufel.

Der brave Pastor Leonhard, der zeigt auch rechte Christenart;
Mit dem bewussten heil’gen Zorn nimmt er die Gauner schön aufs Korn.
Das ist kein schöner Titel, doch lobt der Zweck die Mittel.

In diesem Fall, wie allemal, hält sich das Schulamt ganz neutral.
Das ist nicht leicht, denn immerzu sagt’s Ackermann, was sagst’n nu?
Auch Jeremiä Jammer schwer widerstehen ka’mer.

Wenn man die Lehrer, das wär nett, erst wieder mal in Zwickau hätt;
Dann wär der halbe Sieg schon da und Finsterbergen ziemlich nah.
Denn das Terräng von Zwicke war schon einmal zum Glicke.

Kollegen tretet Mann an Mann für eure gute Seele an!
Sei keiner, der vom Wege biegt! Die Wahrheit siegt! Die Wahrheit siegt
trotz Haß und Wutgeschnaube und das sei unser Glaube.“

Reichsexekution 1923

Die vom Reichspräsidenten Friedrich Ebert (SPD) verfügte Reichsexekution erzwang am 29.10.1923 mit militärischer Gewalt den Rücktritt der „verfassungsmäßig zustande gekommenen sächsischen Landesregierung Zeigner“, in der die SPD mit der KPD koalierte. Die neu gebildete Regierung mit Vertretern der SPD, DDP und DVP ließ die meisten schulrechtlichen Regelungen bestehen, beendete aber Praktiken, die in Widerspruch zur Weimarer Verfassung standen, wie die Abschaffung des Religionsunterrichts.

 

Kultusminister Dr. Karl Friedrich Kaiser (DVP) bemühte sich ab 1924 um Ausgleich zwischen den verhärteten Fronten von bürgerlich-christlichen und proletarisch-sozialistischen Eltern und Lehrkräften in Sachsen. Ein weiterer Ausbau der Volksschulen nach einem Einheitsschulplan wurde ebenso verhindert wie die Existenz evangelischer Schulen.

Massive Klagen
über die neue Volksschule

Die Leipziger Volksschulen galten als pädagogische Leuchttürme. Obgleich hunderte Lehrkräfte aus ganz Deutschland 1921 und 1922 zu den Pädagogischen Wochen in Leipziger Schulen hospitierten, mehrten sich die Klagen von Eltern und Lehrkräften über die neue Volksschule. Viele von ihnen sorgten sich zunehmend um Leistungsschwächen und Disziplinlosigkeiten ihrer Kinder.

Brief einer besorgten Mutter an den hochwohllöblichen Rat der Stadt Leipzig vom  31. Januar 1924

"Die Lehrer schicken alle Tage die Schulkinder in die Häuser, um die Leute zu bewegen, gegen den Lehrerabbau zu stimmen. Es ist traurig, dass die Lehrer nicht so viel Vaterlandsliebe besitzen, um auch mit zu helfen, dass wir wieder hoch kommen. Jeder andere Beamte muß doch auch jetzt täglich 9 Stunden arbeiten. Dabei hat er noch nicht einmal so viele Ferien, wie die Lehrer. Diese Lehrer müssen eben viel mehr als bisher arbeiten. Es gibt viele Lehrer, welche manchen Tag nur 2 Stunden gehen, und diese manchmal auch nicht, wenn sie aufs Land gehen und hamstern."

"Es ist traurig bestellt um die Schule, weil die Lehrer anstatt Unterricht abzuhalten, täglich Konferenz abhalten, das können sie in ihrer freien Zeit abmachen, wie andere Berufe auch. Darum lernen auch die Kinder jetzt so wenig, weil sich die Lehrer mehr um Politik kümmern. Für ihre Leistung werden sie auch viel zu hoch bezahlt, darum können sie auch zu Hause und in der Gastwirtschaft so viel Karten spielen. Wie mancher Beamter wäre froh, wenn er nur soviel Pflichtstunden hätte wie der Lehrer. Je mehr die Lehrer arbeiten, desto besser wird es mit unserem geliebten Vaterlande werden."

"Alles was sie vorbringen, um weiter zu faulenzen, ist hochtrabender Schwindel, darum gebt dem Lehrer viel, viel Arbeit. Und wenn die Kinder sehen, dass die Lehrer wieder Lust und Liebe zur Arbeit haben und zu den Kindern, so werden wir auch sehen, daß unsere Kinder auch wieder besser lernen und tüchtig werden. In den letzten 9 Jahren haben die Kinder nicht viel gelernt, weil die Lehrer mit schlechtem Beispiel vorangingen. 

Nun möchte ich den hochwohllöblichen Rat  recht herzlich bitten, die Lehrer abzubauen und die verbliebenen dringend ermahnen, ihre Pflicht voll und ganz zu verrichten und sich nicht um die Arbeit zu drücken, daraus wir wieder tüchtige Menschen bekommen.

Hochachtungsvoll
eine besorgte Mutter"

In der Denkschrift „Die sächsische Volksschule“ von 1924 konstatieren Bezirksschulräte:

  • Um „Lesefertigkeit, um Rechtschreiben, um auch nur einfache grammatikalische Kenntnisse und um Rechnen“ sei es vielfach schlecht bestellt.
  • „alte und neue Lehrweisen (stehen) sich unduldsam gegenüber“.
  • Die „Umbildung der Methoden“ sei überstürzt worden…
  • „Manche Werte der alten Lehrweise wurden zu gering geschätzt und von den neuen Lehrweisen wurden zum Teil nur Äußerlichkeiten übernommen.
  • Versuche über Versuche wurden unternommen, auch dort, wo der Überblick über Zeit, Stoff und Kind fehlte…
  • Immer mehr machte sich auf methodischem Gebiete ein Subjektivismus breit, der sich an den Lehrplan nicht gebunden erachtete, Lehr- und Übungsgebiete nach persönlicher Auffassung bestimmte und Wert und Notwendigkeit planmäßiger Übungen unterschätzte.“

1926 wurde das Buch „Die versinkende Volksschule. Ein Beitrag zur Errettung der deutschen Jugend von Pädagogen-Wahn und Partei-Irrtum“ in Leipzig anonym „von einem Volksschullehrer“ veröffentlicht. Es wird Oskar Hillmann zugeschrieben. Seine Kapitelüberschriften umfassen die Kontroversen der damaligen schulpolitischen Debatten:

  • Staats- oder Parteischule?
  • Prügel- oder Erziehungsschule?
  • Einheits- oder Standesschule?
  • Weltliche oder christliche Schule?
  • Religions- oder Moralunterricht?
  • Arbeits- oder Lernschule?
  • Fach- oder Gesamtunterricht?
  • Geistes- oder Körperbildung?
  • Schulinspektor oder Bezirksschulrat?
  • Schuldirektor oder Schulleiter?
  • Lehrer- und Elternrat
  • Seminaristisch oder akademisch gebildete Volksschullehrer

„Die heutige Arbeitsschule verlangt: Hinaus mit allem Zwange, hinaus mit aller Autorität und Arbeitslast, hinaus mit dem elenden Auswendiglernen! Der Lehrer ist nicht mehr der hölzerne Vorgesetzte der Kinder, er ist weiter nichts als ihr Freund. Es wird gespielt und beim Spiel spielend gelernt. Was nun gerade sich bietet. Jede folgerichtige Begriffsentwicklung innerhalb eines geistig sich fortentwickelnden Systems ist unmöglich.“ (S.30)

 

 

„Früher sah es der Lehrer als eine Ehre an, eine erste (entspräche heute der achten Klasse, Anm. Hrsg.) Knabenklasse führen zu können und – so muß und kann es wieder werden, wenn wir um unsere alte Erziehungsschule von neuem kämpfen und dafür sorgen, daß das widersinnige Prügelverbot fällt und die Prügelerlaubnis allerdings nur denjenigen Lehrern übertragen wird, die in Wahrheit ‚Erzieher‘ sind.“ (S. 20)

Eine 1924 vom Volksbildungsministerium in Dresden herausgegeben Denkschrift „Die sächsische Volksschule“ zieht eine Bilanz über fünf Jahre Volksschulreform. In der Denkschrift kommen ausschließlich Bezirksschulräte und Vertreter der höheren Schulen aus Sachsen zu Wort. Eine vorherige Abstimmung mit dem Sächsischen Lehrerverein erfolgte nicht, sodass dieser als Entgegnung die Gegendenkschrift „Der Kampf um die Volksschule“ veröffentlichte.

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